Agilität trotz Hierarchie: Vom traditionellen Führungsdenken hin zu neuen Helden im Triumvirat

Barbara Wietasch

Barbara Wietasch

6. Dezember 2019

Alles wird agilisiert – und doch bleibt in vielen Unternehmen hierarchische Führung bestehen, und im Ergebnis ändert sich kaum etwas. Um Silodenken, Abstimmungsdefizite, Frustration etc. langfristig in den Griff zu bekommen und zu reduzieren, bedarf es einer neu formulierten Führung, die von traditioneller Hierarchie Abstand nimmt und verschiedene Kompetenzprofile vereint. Der Schlüssel dazu liegt in einer neuen Rollenbesetzung der Helden in der Führung. Wie das im Shared LeaderShift©-Modell genau aussieht, und welche erfolgsentscheidenden Vorteile dies mit sich bringt, erklärt Barbara Wietasch, Partnerin der TCI, folgenden Interview.

Wer wirklich führen sollte, was zu tun ist und wie die ideale Besetzung der Unternehmensführung aussieht – Barbara Wietasch in Interview

Schönen guten Tag Frau Wietasch, Sie beschreiben in Ihrem Shared LeaderShift©-Modell die Einführung eines führenden Triumvirats. Dies klingt nach einer tiefgreifenden Veränderung gängiger Unternehmensstrukturen. Was genau bedeutet das?

Vom Start-up bis zu großen Organisationen kann man beobachten: Alle sind auf der Suche nach Agilität, um für die zunehmende Komplexität und Disruption gewappnet zu sein. Viele arbeiten mit agilen Methoden. Insofern sind Scrum, Design Thinking, Kanban-& Co. in aller Munde, auch das Spotify-Modell wird von vielen angestrebt. Diese Methoden fokussieren sich jedoch hauptsächlich auf die Customer Centricity sowie die Produktentwicklung und adressieren die Teamebene. Auch wenn Teams Aufgaben selbstorganisiert erledigen, bleibt Führung doch weiterhin hierarchisch, traditionell bei einer Führungskraft, Silos bleiben bestehen, Abstimmungsdefizite treten zu Tage. Damit bleibt ein grundsätzliches Dilemma: Das Team ist frustriert, der Einzelne wird nicht in seinen Fähigkeiten gesehen und gefördert.

Wir haben gelernt, dass Selbstorganisation Führung braucht, um an dieser Stelle Boris Gloger zu zitieren. Wir benötigen einen Fahrplan für laterale beziehungsweise kollegiale Führung. Wenn wir Führung agilisieren, heißt das nicht, dass Hierarchie nicht mehr existiert. Führen bedeutet nach wie vor, voranzugehen, den Weg zu ebnen, Brücken zu bauen und auf Umwelt- und Umfeldveränderungen zu reagieren.

Wie kann sich dann Führung neu aufstellen und dabei all diese Punkte angemessen berücksichtigen?

Das funktioniert mit einem neuen Führungsmodell, das den anstehenden Wandel der Organisationen über eine neue Führungsstruktur bewerkstelligt: wir nennen es das Shared LeaderShift©-Modell. „Shared“ bedeutet in diesem Fall, die Führung in Rollen zu trennen und auf verschiedene Schultern zu verteilen. „Shift“ meint dabei, dass neben einem Mindshift – eine veränderte Haltung, also ein LeaderShift benötigt wird. Dieser baut auf einem positiven Menschenbild in der Führung, auf der Entschiedenheit zu vertrauen, und auf der Zusammenarbeit aller Player auf Augenhöhe auf.

An diesem Punkt kommt dann das bereits erwähnte Triumvirat als neue Organisationsstruktur ins Spiel. Führen wird gelebt, indem Verantwortung auf Funktionen und Personen aufgeteilt wird, die ihrerseits eine jeweils klare Rolle verkörpern und kooperativ agieren – als Individuen, Teams und Gesamtorganisation. Die erste beteiligte Führungsrolle ist der „Customer & Value Leader“ und trägt die Idee des Product Owners aus dem Scrum in sich. Die Zweite ist die des „Team und Performance Leaders“, die über die Rolle des Scrum Masters hinausgeht und auch als Agile Coach bezeichnet werden kann. Sie bildet auch die Schnittstelle zum „Customer & Value Leader“, der die Kundenperspektive einnimmt. Beide werden ergänzt durch die Rolle des „Team & Performance Leaders“, der sein Team immer wieder zu Höchstleistungen anspornt. Und zu guter Letzt gibt es noch den „People & Culture Leaders“. Diese Rolle gibt es in den vielen anderen Ansätzen so noch nicht und ist angelehnt an das Prinzip des Servant Leadership. Ihr Fokus liegt auf den Interessen, die persönliche Situation und die Entwicklung eines jeden einzelnen Mitglieds einer Organisation.

Inwiefern ermöglicht diese Dreiteilung der Führungsrollen im Triumvirat konkret, eine bessere Führung in den Unternehmen umzusetzen?

Diese Dreiteilung erlaubt es den einzelnen Akteuren, den unterschiedlichen Aspekten von Führung genauer Rechnung zu tragen. Leistungsanforderungen und -überprüfungen werden jeweils von einer Funktion beziehungsweise einem Repräsentanten der Kundensicht vertreten, ohne dass diese Rolle unmittelbar auf das Team oder den einzelnen Mitarbeiter Einfluss nimmt. Sie richtet sich auf die Bedarfe interner und externer Kunden. Somit erhält der Kunde eine „eigene Stimme“.

Und auch der einzelne Mitarbeiter wird voraussichtlich eine höhere Zufriedenheit zeigen, da Störungen, wie sie aktuell noch durch die Doppelfunktion einer Führungskraft als Manager und Leader auftreten, eliminiert sind. Denn das Engagement eines Mitarbeiters ist nicht mehr nur von einer Person in der Führung abhängig. Darüber hinaus verhindert das Zusammenspiel aller drei Player auf Augenhöhe, dass es in dieser Konstellation zu Machtmissbraucht kommt. Mehr Fairness hält Einzug. Wir haben also gute Gründe, dieses Triumvirat als wahres Dreamteam, als unsere drei Helden zu bezeichnen. Und wie in der Antike begeben sie sich die Helden auf bislang unbekanntes Terrain.

Wie stellen sich damit die neuen Rollen der drei einzelnen Akteure im Triumvirat dar?

Drei Führungsrollen und deren Führungsaufgaben und Vernetzung als Customer & Value Leader, Team & Performance Leader und People & Culture Leader, Menschenfiguren auf gleicher Höhe, Piktogramme in Silber, Gold und Metall auf weißem Hintergrund
Abbildung 1: Die Rollen im Triumvirat ergänzen sich und sind klar miteinander vernetzt. (Bild: © Barbara Wietasch / Eva-Maria Danzer)

Die Teilung der Verantwortung entlastet einzelne Personen und schafft Raum für die aktive Einbindung des Teams. Vor allem, wenn man das Modell weiterdenkt und die Rollen „Team & Performance Leader“ und „Customer & Value Leader“ verstärkt mit Mitgliedern crossfunktionaler Teams besetzt werden. Für den Einstieg lassen sich die Rollen auch gut mit derzeit aktiven Führungskräften besetzen, ein Übergang in die „neue Arbeit“ kann somit smart gestaltet werden.

Ein weiterer Vorteil ist, dass Führung von Kompetenzträgern mit unterschiedlichen Stärkenprofilen deutlich differenzierter wahrgenommen werden kann. Es ist zu erwarten, dass damit eine höhere Zufriedenheit und Qualität der Führungsarbeit erwirkt wird.

Beim Shared LeaderShift©-Modell sind diese drei jedoch nicht vollkommen auf sich allein gestellt, sondern werden noch um eine vierte Funktion erweitert, richtig? Wie sieht hier das Aufgabenfeld aus?

Gruppe von fünf Personen-Icons stellt den "Purpose & Strategy Leader" dar, Abbildung des Shared LeaderShift©-Modells
Abbildung 2: Nicht nur eine Person, sondern ein ganzes Team nimmt idealerweise die Rolle des „Purpose & Strategy Leaders“ im Bunde ein. (Bild: © Barbara Wietasch / Eva-Maria Danzer)

Genau so ist es: Das Shared LeaderShift©-Modell im engeren Sinne, welches wir als Triumvirat bezeichnen, wird im Idealfall um eine weitere Rolle ergänzt, die des „Purpose & Strategy Leaders“. Diesen nennen wir den „Vierten im Bunde“. Zu dessen zentralen Aufgaben zählt die Erarbeitung und kontinuierliche Reflexion der Governance und der Unternehmenskultur. Wobei dieser Vierte nicht als Einzelperson zu verstehen ist, sondern vielmehr eine Rolle darstellt, die man vielleicht noch mit einer Stabstelle vergleichen kann, was früher mehr geläufig war. Diese Rolle wird durch ein interdisziplinäres Team repräsentiert und deren Aufgaben sind mehr strategischer Natur. Neben der benannten Kulturarbeit sollte diese Rolle bereits wesentlich dazu beitragen, den Purpose der Organisation mit zu gestalten und als Hüter dieser „Kultur“ zu fungieren. Darüber hinaus hat diese Rolle auch die Aufgabe, die Strategie der Organisation zu operationalisieren. Begleitend durch diese Rolle wird der Weg vom Purpose zum Nordstern in immer wieder neuen Iterationen – sprich Schleifen – gestaltet.

Was sind dann ganz konkret die Aufgaben der vier Rollen?

Zur schnellen und klaren Übersicht haben wir die Aufgaben in der nachfolgenden Grafik zusammengestellt:

Vier Aufgabenfelder und Führungsaufgabenlisten nach den Führungsrollen im Shared Leadershift©-Modell
Abbildung 3: Die konkreten Aufgaben der vier Rollen im Triumvirat in der schnellen und klaren Übersicht. (Bild: © Barbara Wietasch / Eva-Maria Danzer)

Wichtig ist dabei, dass die unterschiedlichen Rollen kollaborative Führung als Vorbildfunktion sehen, sich gegenseitig unterstützen, voneinander lernen und einzelne Teammitglieder mit Führungsrollen beauftragen.

Worin genau bestehen nun die Vorteile dieses Shared LeaderShift©-Ansatzes?

Die Führungsrollen im Shared Leadershift©-Modell als Einheit im Kreis
Abbildung 4: Das Triumvirat wird durch die Rolle des Purpose & Strategy Leaders ergänzt – repräsentiert von einem Team. (Bild: © Barbara Wietasch / Eva-Maria Danzer)

Aus unserer Perspektive sind das vor allem vier große Vorteile, die die Umsetzung mit sich bringt. Erstens: Durch den „Customer & Value Leader“ erhält der Kunde einen festen Platz in der Organisationsstruktur. Die omnipräsente Customer Centricity verhindert ein „Vorbei-Entwickeln“ an den wachsenden Kundenwünschen. Zweitens: Durch die Arbeit auf Augenhöhe der anderen Rollen mit dem „People & Culture“ Leader“ haben alle in der Organisation einen festen Ansprechpartner. Effektiv sind die Mitarbeiter zufriedener und engagierter, da Verwirrungen, wie sie sich aktuell durch die Doppelfunktion des Förderns und Forderns der Führungsrolle als Manager und Förderer/Leader ergeben, vermieden werden. Drittens: Indem Kompetenzträger mit unterschiedlichen Stärkenprofilen auf Augenhöhe und gemeinsam führen, können die verschiedenen Aufgaben der Führung deutlich differenzierter wahrgenommen werden. Und Viertens: Das Teilen der Verantwortung bewirkt eine spürbare Entlastung der einzelnen Führungskräfte und es entsteht der Raum und die Möglichkeit, das Team aktiver einzubinden. Natürlich besteht das Ziel wie erwähnt langfristig darin, das Modell weiterzudenken und immer mehr dazu überzugehen, Teammitglieder in die Rollen zu bringen. Das erleichtert den Weg in die „New Work“ und hin zur Selbstorganisation. Es entwickelt sich eine wahre Führungskraft.

Und nun noch ganz kurz: Was ist der Shift bei diesem Ansatz?

Das lässt sich in einigen kurzen und knackigen Feststellungen zusammenfassen, denn Führung…

  • wird aus Sicht des Kunden, des Teams und der Wertschöpfung und des einzelnen Mitarbeiters beziehungsweise Partners gestaltet.
  • ruht auf mehreren Schultern und erfolgt kooperativ und auf Augenhöhe.
  • wird über Rollen abgebildet und ist damit ent-PERSONifiziert und entMACHTet.
  • rolliert und wird damit im Wechsel verantwortet.
  • wird von allen Menschen im Unternehmen gemeinsam gelebt.
  • ist kraftvoller, da die Rollen stärkenorientiert besetzt werden.
  • wird zum Hebel für Kollaboration und Selbstorganisation.
  • bedeutet eine veränderte Haltung, ein positives Menschenbild, Entschiedenheit zu vertrauen.

Vielen herzlichen Dank, Frau Wietasch, für diese spannenden Ausführungen, den Überblick über die Aufgabenteilung im Führungsmodell und wie die drei Helden im Triumvirat mit den Herausforderungen im Unternehmen genau umgehen. Wir freuen uns auf Teil Sechs des Interviews!

Das Interview mit Barbara Wietasch führte die TCI-Redaktion.

Anmerkung der Redaktion: Lesen Sie auch die vorangegangenen Teile der Interviewreihe!

Teil Sechs finden Sie hier: Zukunftsfähiges Transformations-Tool für Unternehmen: Erfahrungen mit Shared LeaderShift©.

Über Ihre Autorinnen

TCI-Partnerin Barbara Wietasch, Expertin für Mitarbeiterführung und Shared LeaderShift, und Eva-Maria Danzer, pezialistin für Menschen und Organisationen im Wandel
Barbara Wietasch (links) ist Partnerin der TCI und begleitet Menschen, Teams und Organisationen im Wandel als Coach, Trainerin und Consultant. Eva-Maria Danzer ist langjährige Spezialistin für Menschen und Organisationen im Wandel und begleitet diese auf deren Entwicklungsweg. Gemeinsam haben sie das Shared-LeaderShift©-Konzept aus der Taufe gehoben. (Bilder: © Barbara Wietasch | Margit Marnul, Wien; © Eva-Maria Danzer)

Barbara Wietasch ist Master of Advanced Studies (MAS) als Personal- und Organisationsentwicklerin und begeistert sich seit mehr als 20 Jahren für die Begleitung von Menschen, Teams und Organisationen im Wandel, als Coach, als Trainerin und als Consultant. Ihre Wurzeln sind im Vertrieb & Marketing. Daher stehen für sie in allen organisationalen Veränderungen immer die Menschen – das heißt die internen und externen Kunden – im Fokus. Bei ihrer Arbeit geht sie grundlegend davon aus, dass Systeme die Lösung in sich tragen und kundig sind. Auf der Reise hin zu „New Work“ sieht sie sich als Brückenbauerin auf verschiedenen Ebenen.

Eva-Maria Danzer ist seit mehr als 25 Jahren Spezialistin für Menschen und Organisationen im Wandel. Sie ist Geschäftsführerin von „The Company Journey Guides“, einer Gesellschaft für Unternehmensentwicklung in München mit über 20 Personen. Sie verstehen sich als Entwicklungsbegleiter von Organisationen auf deren eigener Journey. Hierbei sind sie international tätig, insbesondere in vier Fokusbereichen: Mindset first, Leader-Shift, Hero Customer, Zeitgeist Learning & Organisational Development.

(Coverbild: © fotoinfot | shutterstock.com)

Über den Autor

Barbara Wietasch

Barbara Wietasch

Barbara Wietasch, Personal- und Organisationsentwicklerin begleitet Menschen, Teams und Organisationen im Wandel als Coach, Trainerin und Consultant. Auf der Reise hin zu „New Work“ sieht sie sich als Brückenbauerin auf verschiedenen Ebenen.

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