Die Bedeutung von Emotionen im Unternehmensalltag im Zeitalter der Digitalen Transformation und Agile Management

Martin Kupiek

Martin Kupiek

5. April 2019

Teil Eins dieses Beitrags, Agilität im Unternehmen: Wie die Digitale Transformation und Agile Management den Unternehmensalltag prägen, legte den Fokus auf die Notwendigkeit von Agilität im Unternehmen: Welchen Stellenwert nimmt sie ein? Bei einer genaueren Analyse wird klar, dass sich die Perspektiven hier stark unterscheiden – mitunter so stark, dass (emotionsgeladene) Konflikte innerhalb des Unternehmens entstehen können. Um diese zu verstehen und ergebnisorientiert in die Unternehmenskultur einzubeziehen, wird jedoch eine Betrachtung von Emotionen im Unternehmensalltag unausweichlich. Deshalb widmet sich der folgende Teil Zwei dezidiert den Fragen nach der sozialen Funktion von Emotionen, wie Emotionen Gruppen sowohl verbinden als auch unterscheiden, und welche elementare Rolle Emotionen im Unternehmensalltag tatsächlich einnehmen.

Soziale Funktion von Emotionen

Der funktionale Charakter von Emotionen ermöglicht es, Probleme zu lösen und zum Beispiel einen Angreifer mit Hilfe von Angst zurückzuschlagen oder die Flucht zu ergreifen. Im Kontext Change Management steht aber das „soziale Überleben“ im Vordergrund. Das funktioniert jedoch nur mithilfe der Fähigkeit, soziale Bindungen zu knüpfen und soziale Probleme wie Isolation oder Verlust von Einfluss zu überwinden. Das zentrale Argument ist die Sicherung des sozialen „Well-being“. Diese gelingt durch die Wahrnehmung und den Ausdruck von Emotionen, die zum einen dabei helfen, positive soziale Beziehungen aufzunehmen und zu pflegen. Zum anderen ermöglichen sie es, eine soziale Position in Relation zu anderen aufrechtzuerhalten und dabei die eigene Identität und das Selbstwertgefühl zu schützen, manchmal sogar Macht auf Kosten anderer auszuüben. Da sich beide Seiten diametral gegenüberstehen, ist der Erhalt eines ausgewogenen Verhältnisses von großer Bedeutung (Fischer & Manstead, 2016).

Mit anderen Worten: Emotionen dienen dem Erzeugen von Nähe, zum Beispiel Dankbarkeit, Glück, Liebe, Scham, Schuld, Bedauern, sowie der Wahrung von Distanz, zum Beispiel durch das Zeigen von Wut, Hass, Verachtung oder Stolz. Im sozialen Kontext eines Entwicklungsprojektes in einem Unternehmen stehen aber auch zahlreiche Teams, Abteilungen oder Bereiche im Wettbewerb zueinander, sodass Emotionen zwischen den Gruppen unweigerlich eine wichtige Rolle einnehmen.

Intergroup Emotionen

In jedem Unternehmen ist jeder Mitarbeiter Mitglied einer Gruppe, eines Teams, einer Abteilung und Angehöriger des Gesamtunternehmens. Wie oben bereits dargestellt, sind unter anderem Offenheit, Wertschätzung, Nähe und Distanz zentrale Punkte in der täglichen Arbeit und bei der Einführung von Agile Management-Methoden. Inwieweit sich jemand offen, nahbar oder distanziert im sozialen Kontext Arbeit verhält, wird stark durch individuelle Emotionen bestimmt. Emotionen sind nicht zweckfrei, sondern haben einen stark adaptiven und funktionalen Charakter auf der biologischen und individuellen Ebene.

Viele Forschungsarbeiten haben sich dementsprechend auf die Untersuchung von individuell wahrgenommenen Emotionen konzentriert und soziale Aspekte vernachlässigt. Aber wie Emotionen in sozialen Kontexten erscheinen und welche Bedeutung diesen Emotionen von beispielsweise Teammitgliedern zugewiesen wird, ist von zentraler Wichtigkeit bei jeder Einführung von innovativen, teamorientierten Arbeitsweisen. Dies gilt insbesondere, wenn diese dem Prinzip der Selbstorganisation folgen soll.

Dieser Abschnitt widmet sich den „Intergroup Emotionen“, die dann entstehen, wenn sich Personen mit einer bestimmten sozialen Gruppe, zum Beispiel ihrer Abteilung, identifizieren. Erkennbar wird das etwa daran, wenn sie emotional auf Veranstaltungen, Ankündigungen oder andere Dinge, die auf die Gruppen einwirken, reagieren (Smith & Mackie, 2016).

Theoretische Grundlage: Wie Emotionen und Gruppenidentität zusammenhängen

Dieser Ansatz basiert auf der „Social Identity Theory“ (Ashforth & Mael, 1989; Tajfel, 1978) und der „Self-Categorization Theory“ (Turner, Hogg, Oakes, Reicher, & Wetherell, 1987). Die Grundaussage dieser theoretischen Ansätze besagt, dass wichtige Mitglieder einer Gruppe Teil der Identität eines Individuums der gleichen Gruppe werden. Darin eingeschlossen sind ihre einzigartigen persönlichen Eigenschaften, wie zum Beispiel offen, cholerisch oder zuverlässig. Die Gruppengröße kann dabei von sehr klein bis sehr groß variieren. In dieser Dimension stehen sich beispielsweise Team, politische Partei oder Gesamtunternehmen gegenüber.

In den unterschiedlichsten Gruppensituationen verstehen sich die Mitglieder nicht mehr als einzigartiges Individuum, sondern als austauschbares Mitglied dieser Gruppe. Dieser Vorgang wird auch „Depersonalisierung“ genannt und ist die Voraussetzung für „Intergroup-Situationen“, in denen soziale Vergleiche, Wettbewerb oder Konflikte stattfinden. Dies führt zu unterschiedlichen Konsequenzen. Auf der kognitiven Ebene erfolgt eine Normenkonformität, das heißt, die Einstellung zu bestimmten Themen und Verhaltensweisen werden an die Gruppennorm angepasst. Auf der Verhaltens- und Motivationsebene erfolgt ebenfalls eine gleichgerichtete Justierung: also alles, was die Gruppe voranbringt, wird als erstrebenswert und nützlich angesehen. Emotional werden die Mitglieder der eigenen Gruppe (Ingroup) als ähnlich eingestuft und wohlwollender behandelt als fremde Gruppen (Outgroup). Die Gruppe hat damit für jedes Mitglied eine hohe emotionale Bedeutung.

Ein wichtiger Unterschied liegt in den Group-Based Emotionen und Group Emotionen. Letzteres beschreibt einen emotionalen Zustand einer Gruppe, der in einem gemeinsamen Erlebnis begründet liegt. Ein klassisches Beispiel dafür ist ein Fußballspiel, bei der alle Gruppenmitglieder sich über ein Tor oder den Sieg ihrer Mannschaft freuen, unabhängig von den Beziehungen untereinander. Beiden Kategorien gemeinsam ist aber die Tatsache, dass alle Emotionen individuell wahrgenommen werden, das heißt, es gibt keinen „group-mind“ oder ein Gruppengefühl (Tajfel, 1978).

Wie Emotionen Identität und Verhalten innerhalb des Unternehmens beeinflussen

Emotionen werden geteilt von einzelnen Personen und ausgedrückt durch Sprache, Gesichtsausdrücke und Gestik. Die group-based Emotionen setzen einen Prozess der „Depersonalisierung“ voraus, also dass Individuen auf das externe Umfeld als Gruppenmitglied zwar als Einzelperson reagieren. Dabei werden aber die Emotionen als gruppenrelevant eingestuft und nicht als persönlich relevant. Der funktionale Aspekt dieses Prozesses umfasst die Regulierung des gruppenbezogenen oder kollektiven Verhaltens und nicht des persönlichen, individuellen Verhaltens. Relevanz und Funktionalität sind also die Unterscheidungskriterien für „group-based“ und „Group“ Emotionen. Zur Überprüfung, ob eine Emotion gruppenbasiert oder individuell ist, lässt sich dies anhand einer Frage herausfinden: Ist eine emotionale Reaktion auf den gleichen Vorgang ähnlich, wenn dieser Vorgang einem anderen Gruppenmitglied widerfahren wäre? Falls ja, so liegt eine gruppenbasierte Emotion vor.

Intergroup Emotionen motivieren Menschen, bestimmte Aktivitäten auszuführen, die sich auf spezifische Situationen in der Gruppe beziehen. Beispielsweise kann ein Bedürfnis oder Wunsch existieren,

  • eine andere Gruppe zu konfrontieren, anzugreifen oder zu vermeiden, oder auch
  • Mitglieder der eigenen Gruppe zu unterstützen, oder
  • deren Nähe zu suchen, ohne persönlich davon zu profitieren.

Dies ist das Resultat der vorherrschenden Intergroup Emotionen: Hier wird auf der Gruppenebene eine Einschätzung von Emotionen vorgenommen und damit eine Tendenz für bestimmte Aktivitäten verknüpft. Dies drückt sich zum Beispiel aus in Aussagen wie „Sie bedrohen uns!“ oder „Wir sind auf sie wütend“. Dies sind wichtige Gründe für bestimmte Verhaltensformen in Gruppen. Denn nur so kann eine bestimmte Situation, der eine Gruppe ausgesetzt ist, verändert beziehungsweise verbessert werden.

Emotionen wie Wut, die auf eine bestimmte Gruppe gerichtet werden, können dann mit vorurteilsbehafteter Einstellung und diskriminierendem Verhalten verknüpft werden (Fischer & Manstead, 2016).

Veränderungen im Unternehmen lösen Emotionen aus und nehmen immensen Einfluss auf die Unternehmenskultur

Dieser Komplex des Emotion Management umfasst noch weitere Elemente. Change Projekte wie die Einführungen von Agile Management-Prinzipien lösen regelmäßig Gefühle bei den Organisations-Mitgliedern aus. Die Unternehmenskultur und damit die Regeln, die innerhalb dieser Kultur gültig sind, spielen dabei eine große Rolle (Schein, 1988; Smollan & Sayers, 2009). Eine nähere Betrachtung folgender Kategorien könnte erste Ideen für die Lösung der Probleme liefern, etwa anhand von Fragen:

  • Wie werden Emotionen in Intergroup-Konflikten erlebt?
  • Wie werden welche Emotionen warum reguliert?
  • Wie werden group-based Emotionen sozial geteilt beziehungsweise weiterverbreitet?
  • Welches Verhalten resultiert aus welchen Emotionen?
  • Welche Rolle spielen Sprache – „words into emotions or emotions into words?“ (Barrett, 2017b) – und soziale Herkunft?
  • Welche Instrumente zur Erfassung von Gruppenemotionen gibt es bereits? (Kupiek, 2018)

Mithilfe eines geschärften Bewusstseins für diese Fragestellungen und die Relevanz von Emotionen im Unternehmensalltag verfügen Führungskräfte über ein essenzielles Werkzeug. Denn letztendlich findet sich hierin eine elementare Voraussetzung für den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit sowie des Unternehmenserfolgs allgemein. Somit kann die Darstellung des Zusammenhangs von Kultur, Change Management und Emotionen einen wertvollen Beitrag zur Verbesserung des Verständnisses der Herausforderungen im Zeitalter der digitalen Transformation leisten.

Konkrete Hinweise, wie sich diese Erkenntnisse anwenden lassen, finden Sie in der Fortsetzung dieses Beitrags: Richtig Umgehen mit Emotionen im Unternehmensalltag.

Literaturverzeichnis zu Emotionen im Unternehmensalltag

Im Doppelbeitrag wurden die folgenden Werke zitiert:

  • Ashforth, B., & Humphrey, R. 1995. Emotion in the Workplace: A Reappraisal. Human Relations, 48(2): 97-125.
  • Ashforth, B. E., & Mael, F. 1989. Social Identity Theory and the Organization. Academy of Management Review, 14(1): 20-39.
  • Aulinger, A. 2017. Die drei Säulen agiler Organisationen. In I. f. O. M. Steinbeis-Hochschule Berlin (Ed.). Berlin.
  • Barrett, L. F. 2017b. How Emotions are Made. New York: Macmillan.
  • Barrett, L. F., Lewis, M. W., & Haviland-Jones, J. M. 2016. Handbook of Emotions (4 ed.). New York: Guilford.
  • Brynjolfsson, E., & McAfee, A. 2014. The Second Machine Age: Wie die nächste digitale Revolution unser aller Leben verändern wird. Kulmbach: Börsenmedien.
  • Fischer, A. H., & Manstead, S. S. R. 2016. Social Function od Emotion and Emotion Regulation. In L. F. Barrett, & M. W. Lewis (Eds.), Handbook of Emotions (4 ed.): pp. 424-439. New York: Guilford.
  • Fischer, S., Weber, S., & Zimmermann, A. 2017. Wie Organisationen agil werden. personalmagazin, 6: 46-49.
  • Kupiek, M. 2016. Exploring the Potential of Neuroscience in Change Management. Saarbrücken: SVH.
  • Kupiek, M. 2018. Emotionen in digitalen Transformations-Projekten – Bedeutung und Implikationen für das Organizational Change Management. In M. A. Pfannstiel, & P. F. J. Steinhoff (Eds.), Der Enterprise Transformation Cycle: Theorie, Anwendung, Praxis: 425-444. Wiesbaden: Springer Fachmedien.
  • Küster, H. 2014. Leadership Agility – wirksame Führung in einer digitalisierten Welt. In M. Lang (Ed.), CIO 3.0: Die neue Rolle des IT Managers: 155-172. Kissing: Symposion Publishing.
  • Matzler, K., Bailom, F., Anschober, M., & Eichen, v. d., S.F. 2016. Digital Disruption. München: Vahlen.
  • Plamper, J. 2012. Geschichte und Gefühl. Grundlagen der Emotionsgeschichte. München: Siedler.
  • Schein, E. H. 1988. Organizational Psychology (3 ed.). London: Prentice Hall.
  • Smith, E. R., & Mackie, S. M. 2016. Intergroup Emotions. In L. F. Barrett, M. W. Lewis, & J. M. Haviland-Jones (Eds.), Handbook of Emotions (4 ed.): 412-423. New York: Guilford.
  • Smollan, R. K., & Sayers, J. G. 2009. Organizational Culture, Change and Emotions: A Qualitative Study. Journal of Change Management, 9(4): 435-457.
  • Tajfel, H. 1978. The achievement of group differentiation. In H. Tajfel (Ed.), Differentiation between social groups Studies in the social psychology of intergroup relations: 79–98. London: Academic Press.
  • Turner, J. C., Hogg, M. A., Oakes, P. J., Reicher, S. D., & Wetherell, M. S. 1987. Rediscovering the social group: A self-categorization theory. Cambridge, MA, US: Basil Blackwell.

(Coverbild: © fizkes | stock.adobe.com)

Über den Autor

Martin Kupiek

Martin Kupiek

Dr. Martin Kupiek ist selbstständiger Unternehmensberater und Dozent. Mit mehr als 25 Jahren Berater- und Managererfahrung unterstützt er mittelständische und große Unternehmen sowie internationale Konzerne unter anderem im Organizational Change Management.

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